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Geschichte des Archiv der IKG Wien

Offiziell wurde das Archiv im Jahr 1816 gegründet, als die Vertreter der jüdischen Gemeinde beschlossen, alle Aktenstücke (Patente, kaiserliche Erlässe und Verordnungen, welche die Rechte und Pflichten der ortsansässigen Juden regelten) zu sammeln und aufzubewahren. Es dauerte jedoch weitere dreißig Jahre bis sich das Archiv „institutionalisierte“. In den 1840er Jahren sorgte der damalige Aktuar Ludwig August Frankl für eine bessere Unterbringung der Archivalien, der Standort des Archivs wechselte mehrmals. Alte sowie neue hinzukommende Schriftstücke der einzelnen Kommissionen und Sektionen wurden sukzessive geordnet. Bis in die 1920er Jahre waren die Akten nach Sachbegriffen, Orts- und Personennamen katalogisiert und in den 1930er Jahren avancierte das Archiv zum Begegnungsort nationaler und internationaler Wissenschaftlerinnen.
Unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland im März 1938 wurde die IKG Wien gezwungen, den Archivbetrieb einzustellen. Die IKG und ihr Archiv kamen unter die vollständige Kontrolle der Zentralstelle für jüdische Auswanderung und der Gestapo. Darüber hinaus bedienten sich die Nationalsozialisten der Archivmaterialien, um die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zu organisieren.
1938/1939 kam es zu weiteren massiven Eingriffen. Die Gestapo beschlagnahmte umfangreiche Archivbestände sowie Manuskripte und brachte sie in das Reichssicherheitshauptamt nach Berlin. Auf Grund der Bombenangriffe auf Berlin im Sommer 1943 übersiedelten die NS-Behörden die Archivbestände nach Schlesien, wo sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von der Roten Armee entdeckt und als sogenannte Beuteakten nach Moskau ins Osobyi Archiv transportiert wurden, wo sie sich heute noch befinden.
Das Jüdische Gemeindearchiv, das seit seiner Gründung sukzessive an Bedeutung gewonnen hatte, war mit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr existent. Die Archivbestände waren in einem erbärmlichen Zustand und lagerten in feuchten Kellerräumen. Die gesamte Struktur und Ordnung, so wie sie vor 1938 bestanden hatte, war komplett zerstört. Eine Neuordnung des Archivs bzw. dessen Neuaufbau war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Im Bewusstsein, dass die Dokumente in Wien nicht sachgerecht aufbewahrt werden konnten, stimmte 1951 das Präsidium der IKG Wien nach eineinhalb jähriger Bedenkzeit zu, Teile des Archivs der Institution „The Jewish Historical General Archives“ (heute: „The Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem“) unentgeltlich als Leihgabe zur Verfügung zu stellen. Die erste Übersendung von Archivgut nach Jerusalem erfolgte 1952, weitere Tranchen in den Jahren 1966, 1971 und 1978. Darunter befinden sich Protokolle, Schriftstücke und Akten für die Bereiche Verwaltung, Finanzen, Bauwesen, Matrikelführung, Friedhof, Unterricht, Kultusangelegenheiten, Stiftungen, Fürsorge, Vereine, Auswanderung etc. (siehe http://cahjp.huji.ac.il/).
Bis Ende der 1990er Jahre gab es keine Überlegungen, das Archiv wiederaufzubauen bzw. über den Verbleib des restlichen Archivmaterials (jenes Teils, der nicht leihweise an die Central Archives übergeben wurde) nachzuforschen. Erst auf Initiative des damaligen Präsidenten der IKG Wien, Dr. Ariel Muzicant, und der Exekutivdirektorin des Präsidiums, Erika Jakubovits, wurde ab 1998 gezielt gesucht. Im Jahr 2000 wurden umfassende Bestände in einem alten Gebäude der IKG Wien in der Herklotzgasse im 15. Wiener Gemeindebezirk wiedergefunden. Es handelte sich dabei um jenes „verschollene“ Archivmaterial, das bereits 1986 bei Renovierungsarbeiten im Keller unterhalb der Synagoge in der Seitenstettengasse durch Ernst Meir Stern entdeckt worden war, allerdings nach der Bergung wieder in Vergessenheit geriet.
Das wieder entdeckte Archivmaterial wurde in den Räumen der damaligen „Anlaufstelle für Jüdische NS-Verfolgte in und aus Österreich und deren Nachkommen“ am Desider-Friedmann-Platz 1 provisorisch eingelagert. In den mehr als 800 Kartons befanden sich u.a. 500.000 Dokumente aus der NS-Zeit – wichtiges Archivmaterial für die Erforschung der Shoah mit personenbezogenen Karteien, Registerbüchern, Berichten und Korrespondenzen. Diese waren mit Unterlagen aus der Zeit vor 1938 sowie nach 1945 vermischt. Das auf den Holocaust bezogene Archivmaterial wurde in den Jahren von 2001 bis 2008 für verschiedene interne und externe Projekte gesichtet, geordnet und in provisorischen Listen und Datenbanken erfasst sowie mit finanzieller Unterstützung des United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) mikroverfilmt. 
Im Zuge dieser Tätigkeiten wurde die Existenz und damit einhergehend die Einzigartigkeit des Archivs von Jahr zu Jahr bewusster wahrgenommen. Mehr als 70 Jahre nach der Auflösung durch die Nationalsozialisten wurde Anfang 2009 das Archiv als eigene Abteilung der IKG Wien wieder begründet und damit dessen Bedeutung für die Kultusgemeinde unterstrichen.